Rezension (Ausschnitt) aus:
Deutsche Gesellschaft für Photografie, DGPh
Es wird einmal gewesen sein
Photographien von Martin Rosswog
Zeichnungen von Jutta Dunkel
Herausgeber Kunstmuseum Villa Zanders
Vorwort Petra Oelschlägel
Texte von Nora Riediger
Kettler Verlag, Bönen
ISBN 978-3-939227-43-4
14,00 €
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Das Begleitbuch zur Ausstellung zeigt sehr eindrücklich wie auch aktuelle Themen mit unterschiedlichen „künstlerischen Medien“ und Arbeitsweisen umgesetzt werden. Hier sind es die Photographien von Martin Rosswog und die Zeichnungen von Jutta Dunkel, die sich mit der Darstellung von Zeit und Vergänglichkeit auseinandersetzen. Die Publikation und Ausstellung erweitern die Ausstellungsreihe „Ortstermin“ der Villa ZANDERS mit den sachlich-dokumentarischen Photographien von Martin Rosswog (*1950 in Bergisch Gladbach) und den ausdrucksstarken Buntstiftzeichnungen von Jutta Dunkel (*1958 in Neuss). … beide künstlerische Positionen geben das „eigentlich Zeitlose“ in unserem Leben wieder. … Beide Künstler dokumentieren unsere kollektive Erinnerung, die immer in der eigenen Jugend beginnt. …
7. Oktober 2020
aus: Choices, Kunst und Gut,
Ein genaues, insistierendes Sehen
von Thomas Hirsch
Christina zu Mecklenburg, Bonner General Anzeiger, 2011
zur Installation von Jutta Dunkel
„da wo man nicht hingehört sich aufführen als wäre man zu Hause“
Dieses Motto spielt an: auf die, für den Betrachter bereitgestellte, „körperliche Erfahrung“ (Dunkel) der Arbeiten, auf die künstlerische Umzingelung des Schauplatzes, sowie auf die ästhetische Rotation um metaphorische Schlüsselpolaritäten. Darunter rangieren: Licht und Schatten, Freiheit und Offenheit, Ruhe und Bewegung, Fragilität und Stabilität sowie Sehnsücht (Geborgenheit, Schutz) und Träume.
Mit spartanischem Materialeinsatz (Aluminium, Naturholz, Angelschnur), mit den Silhouetten minimalistisch angedeuteter Objekte, alias „Hütte“, „Bett“ und „Leiter“ gelingt es der Absoventin der Düsseldorfer Kunstakademie eine Kette von Gedankenimpulsen auszulösen. Den acht Meter hohen Raum durchkreuzt ein hängebrückenähnliches, silbrig schimmerndes Sprossengebilde. Die plastisch umgesetze Leiterskizze beginnt frei schwebend über dem dunklen Steinstrich und klingt im lichten Kirchenfensterbereich aus. Das hiermit angedeutete Motiv der Reise, des Unterwegsseins oder der Lebenswanderung wird auf der einen Seite flankiert von einem, in Altarnähe schwebenden Bettgrundriss; derweil in Eingangstürnachbarschaft am Boden das Gewölbe eines spärlich beleuchteten Naturstrauches ein Unterschlupfprovisorium oder gar ein neuzeitliches Bethlehem signalisiert.
Dezember 2017, anlässlich der 70. Jahresausstellung in der Galerie Alte Post, Neuss, aus: NGZ, 8.12.2017
„… Die Jahresausstellung in der Alten Post findet zum 70. Mal statt. … Unter den Ausstellern … die in Neuss geborene Jutta Dunkel … Im ersten Moment mögen ihre Motive an das menschliche Innenleben erinnern, tatsächlich handelt es sich dabei aber um einen „verwesenden“ Granatapfel …“
Nora Riediger
Die Werkgruppe Polymorph als Stillleben
Textfassung der Eröffnungsrede zur Ausstellung Still·leben
19.06. – 05.09.2022, Kirche St. Heribert, Deutzer Freiheit, Köln
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Die sinnlichen, großformatigen Buntstiftzeichnungen der Werkgruppe Polymorph von Jutta Dunkel
(*1958 in Neuss) können unter den verschiedensten Gesichtspunkten betrachtet werden. Da wäre
beispielsweise der Aspekt der Zeit, der in diesen monumentalen Zeichnungen gleich in zweifacher
Hinsicht ablesbar ist: in den Motiven aufgeschnittener Früchte, an denen schon die Spuren des
organischen Verfalls sichtbar werden und auch in jedem einzelnen der unzähligen Buntstiftstriche, die
die Künstlerin mit großer Geduld und einem aufmerksamen Blick für Farben und Formen in bis zu sechs
Farbschichten auf dem Papier verdichtet.
Gleichzeitig liegt bei der Betrachtung dieser Werkgruppe die Assoziation mit Stillleben nahe – angesichts
des Sujets der Vergänglichkeit, insbesondere mit dem Bildtypus der Vanitas-Stillleben. Dabei ist das
klassische Vanitas-Stillleben des 17. Jahrhunderts ein Andachtsbild, das auf klaren semiotischen
Botschaften der einzelnen Bildelemente beruht: Chiffren wie Totenschädel, Sanduhren, welke Blumen,
überreife Früchte und Prunkgegenstände verweisen auf Eitelkeit, Flüchtigkeit, den Sündenfall, Erotik, die
Nichtigkeit alles Irdischen und implizieren die Erlösung durch das christliche Heilsversprechen im
Jenseits. Die Entschlüsselung dieser mahnenden Symbole erfordert in der Regel eine sehr aktive
gedankliche Teilnahme bei der Betrachtung.
In der Tat fordern Jutta Dunkels Arbeiten ein ebenso intensives kognitives Engagement – nur verzichten
sie dabei auf den Dogmatismus etablierter Zeichensysteme. Indem sie dem assoziativen Spiel bei der
Betrachtung völlig freien Lauf lassen, bleibt die Bedeutungsfindung offen. Damit bietet sich die
Möglichkeit, die eigenen, ganz persönlichen Gedankengänge genauer zu beobachten und dabei viel
mehr über uns selbst zu erfahren als über eine mögliche Aussage oder verschlüsselte Botschaft der
Künstlerin: Da die menschliche Wahrnehmung der sogenannten Tendenz zur guten Gestalt bzw. der
Tendenz zur Prägnanz folgt, neigen wir grundsätzlich dazu, bereits bekannte Formen schneller zu
erkennen als gestaltfremde. Die Assoziationen sind somit selbstentlarvend und bergen folglich auch ein
Potenzial zur Selbsterkenntnis. Auf diese allzu subjektive Eigenart der Wahrnehmung verweist indirekt
auch der Titel der Werkgruppe, denn polymorph bedeutet „vielgestaltig“ – es gibt in diesen Arbeiten viel
mehr zu erkennen als es auf
den ersten Blick scheint, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen.
Jutta Dunkel, die ihre farbgewaltigen Motive in der besonderen Ästhetik flüchtiger Momente findet, die
sich unserer direkten Beobachtung für gewöhnlich entziehen, stellt in diesen Werken zudem auch
gekonnt unsere Wahrnehmungserwartung auf die Probe: So steht der trockene Farbauftrag der
Buntstifte in Kontrast zu der eigentlichen Textur bzw. Konsistenz des Gesehenen, und auch der weit über
lebensgroße Maßstab, Momente der Abstraktion oder sorgfältig gewählte Ausschnitte und Auslassungen
regen das Gedankenspiel zusätzlich an, bleiben dem tatsächlich Gesehenen im Kern aber immer treu.
Hätte man selbst die Geduld und den geschulten Blick der Künstlerin, würde man genau diese Formen
und Farben in den Motivvorlagen erkennen, die sie im ersten Arbeitsschritt fotografisch festhält, um sie
anschließend in die Zeichnung zu überführen.
Mit den Arbeiten der Werkgruppe Polymorph gelingt es Jutta Dunkel, die besondere Schönheit und den
Eigenwert von zunächst eher als abstoßend empfundenen natürlichen Prozessen sichtbar zu machen –
dient der organische Verfall der Früchte doch letztendlich auch der Entstehung neuen Lebens. Dabei
werden diese feinsinnigen Zeichnungen jedoch weniger zu typischen Stillleben in der mahnend-
moralisierenden Vanitas-Tradition, sondern gehen vielmehr darüber hinaus, indem sie als Andachtsbilder
an Formen, Farben und Gestalten, an persönlich Erlebtes und an die prozesshafte Natur und Schönheit
des Lebens im Hier und Jetzt fungieren. Sie sind „Stills“ in einem anderen Sinne: Standbilder des
Lebens, die uns seine Vielgestaltigkeit vor Augen führen und im positivsten Sinne zur Meditation darüber
und über uns selbst einladen.